„Radhelme müssen sexy sein!“

Gerichtsurteile haben Radfahrer verunsichert. Bin ich selbst schuld, wenn ich mich bei einem Unfall verletze, weil ich keinen Helm trage? Rechtsanwalt und Fahrradrechtsexperte Johannes Pepelnik gibt Auskunft.

Zur Person

Dr. Johannes Pepelnik ist Wirtschaftsanwalt und vertritt österreichische und internationale Unternehmen in wirtschaftsrechtlichen Fragen. Außerdem ist er auf Fahrradrecht spezialisiert und Mitautor des Buches „Radfahren in Wien“ und Vertrauensanwalt der Radlobby Österreich.

netzwerk-verkehrserziehung: Herr Dr. Pepelnik, in Österreich gibt es keine Helmpflicht für erwachsene Radfahrer. Trotzdem hat ein Gericht im August dieses Jahres einen Radfahrer verurteilt, weil er keinen Helm trug.
Johannes Pepelnik: Ja, es wurde zur Geschäftszahl 2Ob99/14v entschieden, dass einen Fahrer auf einem Rennrad, der unter rennmäßigen Bedingungen fährt, eine Teilmitschuld für die Kopfverletzungen trifft, die er sich dabei zuzieht. Das ist komisch, weil es in Österreich keine Helmpflicht gibt.  

Gibt es gegen dieses Urteil noch Rechtsmittel?
Nein, es ist eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, das ist die höchste Instanz in Österreich.

Wie erklären Sie sich das Urteil?
Da tue ich mir schwer. Wenn ich beim Wiener Justizpalast vorbeiradle, sehe ich einen Radständer, aber fast nie ein Fahrrad. Daran denke ich, wenn ich mir diese praxisferne Entscheidung ansehe.

Was stört Sie an der Entscheidung?
In der Begründung wird argumentiert, dass der Radfahrer gleichsam als Rennfahrer unterwegs war und dass die Regeln des Internationalen Radsport-Verbands eine Helmpflicht vorschreiben. Doch das stimmt nur zum Teil: Der UCI schreibt Helme nur für Wettkämpfe vor, ausdrücklich aber nicht für das Rennradtraining¹ sowie Bergfahren und Zeitfahren.

Das bedeutet ...
... dass man daraus schließen kann, dass der OGH die UCI-Regeln womöglich nicht genau genug gelesen, sie aber auf jeden Fall falsch interpretiert hat. Der OGH argumentiert weiters, dass von einem  „allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise“ in Österreich auszugehen ist, dass der „Einsichtige und Vernünftige“ wegen der erhöhten Eigengefährdung einen Radhelm trägt.

Muss man nicht sagen, dass jemand, der schnell mit dem Rad unterwegs ist, auch auf seine Sicherheit schauen muss?
Mit der gleichen Logik könnte man sagen, dass eine übergewichtige Person, die angefahren wird, mitschuld ist, weil sie schneller zur Seite hätte springen können, wenn sie Normalgewicht hätte. Hier wird eine Verpflichtung hergeleitet, nämlich die Helmpflicht für Rennradfahrer, die es gar nicht gibt.

In Deutschland wurde einer Lehrerin, die ohne Helm mit dem Rad unterwegs war, keine Mitschuld gegeben.
Ja, dieser Fall ging in Deutschland auch bis vor das oberste Gericht. Erst dort wurde entschieden, dass sie kein Mitverschulden trifft.

Allerdings handelte es sich dabei um eine Alltagsradlerin, die nicht mit dem Rennrad unterwegs war.
Wenn ich im Anzug auf einem Rennrad ins Büro komme, was bin ich dann? Rennfahrer oder Alltagsradler? Wenn ich im Rennanzug auf einem Tourenrad fahre, was bin ich? Der OGH hat auf den Zweck der Fahrt abgestellt, und das halte ich für unpassend. Es gibt dazu auch eine ältere Entscheidung: Ein Skistar trainierte auf einem Mountainbike, wurde von einem Wohnwagen erfasst und schwer verletzt. Da hat der OGH gesagt, er hätte am Radweg fahren müssen, denn nur Rennräder dürfen auf der Fahrbahn fahren, auch wenn es einen Radweg gibt.

Was stört Sie so an diesen Urteilen, in denen es doch um sehr spezielle Situationen geht?
Ich befürchte: Hier wird der Weg für ein Mitschulden im Alltagsverkehr bereitet. Es wird argumentiert, wenn viele Radfahrer einen Helm tragen, sind die anderen unvorsichtig und deshalb mitschuld. Die Richter sollten einmal aus dem Justizpalast kommen und sich die Ringstraße ansehen.

Was sehen sie da?
Viele, viele Radfahrer, und die meisten ohne Helm. Wir brauchen eine Zukunft, die nicht autozentriert ist. Deshalb sollte Radfahren so niederschwellig wie möglich sein, auch in der Gestaltung der Rechtsvorschriften. Ich vertrete viele Radfahrer vor Gericht. Da genügt es schon, wenn die Glocke oder Reflektorstreifen fehlen, und es gibt Schwierigkeiten.

Würden Sie als Radfahrer nicht trotzdem einen Helm empfehlen?
Ein Helm schützt! Aber nur in einer ganz bestimmten Situation, nämlich, wenn man nach vorne fällt, vor einem Schädelbasisbruch. Ein Helm ist keine Sicherheitsgarantie.

Ist die Helmpflicht für Kinder sinnvoll?
Dazu gibt es einiges zu sagen. Es fängt damit an, dass praktisch alle Kinder die Helme falsch tragen. Kinderhelme müssen ganz genau sitzen, richtig getragen und regelmäßig ausgetauscht werden. Das sieht man selten. Zweitens gab es bei Kindern bereits vor der Einführung der Helmpflicht eine freiwillige Tragequote von 95%, die fehlenden 5% erreicht man meines Erachtens nicht durch die Einführung einer Helmpflicht. Und bei Kindern, die keinen Helm tragen, gibt es auch kein Mitverschulden der Kinder.²

Hat die Helmpflicht für Kinder nicht Unfälle verhindert oder abgemildert?
Schwer zu sagen. Mir ist keine unabhängige Studie bekannt, die belegt, dass nach der Einführung der Helmpflicht  für Kinder die Helm-Tragequote gestiegen ist. Letztlich sehe ich die Altersgrenze von zwölf Jahren als Problem.

Würden Sie persönlich mit Ihrem Wissen Kindern Radhelme empfehlen?
Ja, Helme schützen und es ist gut, wenn Kinder damit aufwachsen. Kleine Kinder werden leicht übersehen, ein Helm bietet einen gewissen Schutz. Aber dann werfen viele Kinder an ihrem zwölften Geburtstag den Radhelm in die Ecke, er ist nun ein Relikt der Kindheit.

Was kann man tun, um das zu verhindern?
Radhelme müssen sexy sein, sie müssen Modeaccessoires sein. Mein Sohn hat auf seinem Helm ein leuchtendes Gehirn drauf. Meine Tochter wird bald zwölf Jahre alt. Ich bin gespannt, was sie tun wird. Sie hatte einen Unfall mit Helm und wird wohl weiter einen tragen.
 


¹ ARTICLE 1.3.031
1. Wearing a rigid safety helmet shall be mandatory during competitions and training sessions in the following disciplines: track, mountain bike, cyclo-cross, trials and BMX, para-cycling, as well as during cycling for all events.
2. During competitions on the road, a rigid safety helmet shall be worn. Except where legal provisions determine otherwise, riders taking part in UCI WorldTour events  may, at their own risk, refrain from wearing a helmet during individual time trial races taking place entirely on a mountainous course. Every discussion regarding the qualification «entirely on a mountainous course» will be decided by the commissaires’ panel.

² § 68(6)StVO Kinder unter 12 Jahren müssen beim Rad fahren, beim Transport in einem Fahrradanhänger und wenn sie auf einem Fahrrad mitgeführt werden, einen Sturzhelm in bestimmungsgemäßer Weise gebrauchen. Dies gilt nicht, wenn der Gebrauch des Helms wegen der körperlichen Beschaffenheit des Kindes nicht möglich ist. Wer ein Kind beim Rad fahren beaufsichtigt, auf einem Fahrrad mitführt oder in einem Fahrradanhänger transportiert, muss dafür sorgen, dass das Kind den Sturzhelm in bestimmungsgemäßer Weise gebraucht. Im Falle eines Verkehrsunfalls begründet das Nichttragen des Helms kein Mitverschulden im Sinne des § 1304 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, JGS Nr. 946/1811, an den Folgen des Unfalls.

Zur Person

Dr. Johannes Pepelnik ist Wirtschaftsanwalt und vertritt österreichische und internationale Unternehmen in wirtschaftsrechtlichen Fragen. Außerdem ist er auf Fahrradrecht spezialisiert und Mitautor des Buches „Radfahren in Wien“ und Vertrauensanwalt der Radlobby Österreich.