„Da ist noch Luft nach oben!“

Dipl.-Ing. Roman Riedel (Referat Mobilitätsstrategien der Stadt Wien) im Interview
über Kindermobilität in Österreich und den Nachbarländern.

Zur Person

Roman Riedel
Stadtplanung Wien – MA 18 Referat für Verkehrsplanung und Mobilitätsstrategien
Rathausstraße 14-16, 1082 Wien
Tel. +43 1 4000 88847
E-Mail: roman.riedel@wien.gv.at
Web: http://www.wien.gv.at/verkehr/parken

Wie ist es in Österreich um die Lage von Kindern als Teilnehmern im Straßenverkehr bestellt?
Roman Riedel: Am Straßenverkehr nehmen Kinder schon als Fußgänger teil. Für Fußgänger gibt es in der Straßenverkehrsordnung keine untere Altersgrenze. Da liegt es in der Verantwortung der Eltern – Stichwort Aufsichtspflicht – welche Freiheiten die Kinder wahrnehmen können. Beim Radfahren ist das hingegen ganz anders geregelt.
 
Wie ist das Radfahren bei Kindern im Straßenverkehr in Österreich geregelt?
 Bis zur letzten StVO-Novelle gab es das Problem, dass Kinder in der vierten Klasse Volksschule gemeinsam die Radfahrprüfung machen, viele aber erst neun Jahre alt waren. Die mussten dann trotz bestandener Prüfung bis zum zehnten Geburtstag warten, bis sie ihren Radfahrausweis bekamen und selbständig Rad fahren durften. Das wurde in der letzten Novelle geändert:  Jetzt können Kinder – wenn sie  die vierte Schulstufe besuchen – auch schon mit neun Jahren den Radfahrausweis erhalten. Das ist eine Verbesserung. Wenn man sich aber die Gesamtsituation ansieht, ist es im Vergleich mit den Nachbarländern immer noch sehr restriktiv.
 
Welche Regeln gelten in Nachbarländern wie Deutschland oder der Schweiz?
 In Deutschland darf man ohne Untergrenze bis zehn Jahre mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig fahren – auf der Fahrbahn bereits ab acht Jahren ohne Prüfung. Von acht bis zehn Jahren kann man es sich aussuchen, das ermöglicht einen gleitenden Übergang. In der Schweiz gibt es da eine Grenze von sechs Jahren: Ab sechs Jahren dürfen Kinder bereits alleine auf Hauptstraßen fahren. Diese entsprechen unseren Vorrangstraßen. Und unterhalb von sechs Jahren auch schon selbstständig auf Nebenstraßen.
 
Welche Forderungen ergeben sich durch den Blick auf die Nachbarländer?
 Die Altersgrenze sollte großzügiger ausgelegt werden, damit die Eltern selbst entscheiden können, ob und wann ihre Kinder selbstständig mit dem Rad unterwegs sind. Zum Beispiel: „Auf der Hauptstraße durch den Ort fährst du nicht, aber auf dem Flussuferradweg zum Fußballverein kannst du schon fahren.” Die restriktive Regelung in Österreich verbietet den Eltern, ihre Kinder bereits im Volksschulalter schrittweise an das selbständige Radfahren heranzuführen.
 
Warum ist die Gesetzeslage in Österreich da eher zurückhaltend gestaltet?
 Es ist natürlich auch Aufgabe der StVO, Straßenbenützer vor der Behinderung und Gefährdung durch allzu ungeübte Teilnehmer zu beschützen. Dieser Aspekt hat auch seine Berechtigung. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß. Der Schutz der Fahrzeuglenker vor radfahrenden Kindern ist bei uns nun mal sehr einseitig zu Lasten der Kinder ausgelegt, wenn man das mit der Schweiz oder Deutschland vergleicht. Die Bewegungsmöglichkeit von Kindern mit Fahrrädern wird bei uns vergleichsweise stark eingeschränkt. Die 30. StVO hat die Situation  verbessert. Es gibt aber noch immer viel Luft nach oben. Nur weil Kinder vom Gesetz früher fahren dürfen, heißt das ja nicht, dass sie die Eltern auch fahren lassen müssen. Aber es wäre eine Möglichkeit – so wie in Deutschland und in der Schweiz – die Frage, wo und wann Kinder selbständig Rad fahren dürfen, weniger zentral zu regeln und stärker von den Eltern entscheiden zu lassen. Diese kennen ihr Kind und die örtlichen Verkehrsverhältnisse wesentlich besser, als der zentrale Gesetzgeber.
 
Verbesserungen hat es ja in Hinblick auf Mikro-Scooter gegeben …
 Miniroller waren – so wie das übrige „fahrzeugähnliche Kinderspielzeug“ auch – bei der Altersgrenze ursprünglich den Fahrrädern gleichgestellt. Man hat sie also auch erst – mit zwölf Jahren – bzw. mit Radfahrprüfung ab zehn Jahren – benutzen dürfen. Diese Bestimmung war so kontraintuitiv, dass sie kaum jemand gekannt hat – und die Kinder natürlich trotzdem gefahren sind. Also die Volksschulkinder, die mit dem Roller in die Schule gefahren sind, waren eigentlich verbotenerweise unterwegs. Das wurde mit der 30. Novellierung der StVO mit 1. April 2019 verbessert und die Altersgrenze für das Rollerfahren auf acht Jahre herabgesetzt.
 
Wie lautet Ihr Fazit, was das Thema Kindermobilität in Österreich angeht?
 Es gibt noch Luft nach oben, wenn man sich die deutschsprachigen Nachbarländer ansieht. Auch in Hinblick auf die Unfallentwicklung. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland oder der Schweiz ein schlechteres Unfallgeschehen gibt, im Gegenteil. Bei uns gibt es relativ mehr Tote und Verletzte im Straßenverkehr als in den anderen beiden Ländern. Also kann es nicht so falsch sein, Kinder früher als bei uns selbständig am Verkehr teilnehmen zu lassen. Da sind dann natürlich auch die Eltern gefragt, dies ihrem Kind in dem Ausmaß zu ermöglichen, das zu den Fähigkeiten des Kindes und zu den örtlichen Verkehrsverhältnissen passt. Diese Möglichkeit, ihr Kind schrittweise an das selbständige Radfahren heranzuführen, haben die Eltern von Volksschulkindern in Österreich derzeit aber (noch) nicht.

Zur Person

Roman Riedel
Stadtplanung Wien – MA 18 Referat für Verkehrsplanung und Mobilitätsstrategien
Rathausstraße 14-16, 1082 Wien
Tel. +43 1 4000 88847
E-Mail: roman.riedel@wien.gv.at
Web: http://www.wien.gv.at/verkehr/parken

Zur Person

Univ. Prof. Dr. Ralf Risser, geboren in Lienz/Osttirol. Eigner von FACTUM. Vorlesungen an Universität und Technischer Universität Wien.

Seit 1988 Kooperation mit dem Institut für Technologie und Gesellschaft der Technischen Universität Lund, Schweden, seit 2005 dort Gastprofessor.

Seit 1989 mit FACTUM in mehreren EU-Projekten 1993 bis 2003 Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verkehrspsychologie der EFPA (Europäische Föderation der Psychologen-Verbände)

Seit 1988 Sekretär von ICTCT (International Co-operation on Theories and Concepts in Traffic safety), seit 2011 Präsident dieses internationalen Vereines.

Vorstandsmitglied der NORBIT-Gruppe (Nordic Organisation for Behaviour in Traffic).

Eine Hauptaktivität besteht in Entwicklung und Anwendung von Instrumenten, die adäquate Erforschung menschlicher Motive als Basis für Sozialmanagement erlauben. Spezialist für Techniken qualitativer Forschung und Verhaltensbeobachtung (Entwickler der „Wiener Fahrprobe“ und Ableitungen davon), für heuristische Vorgangsweisen wie etwa Workshops, sowie für gruppendynamikbasierte Kreativ- und Trainingsmaßnahmen.