Migration macht mobil(er)

Eine Studie belegt: Personen mit Migrationshintergrund sind öfter mit Öffis unterwegs als „Eingesessene“. Woran liegt das und was lässt sich daraus schließen? Studienautorin Ursula Reeger im Interview.

Zur Person

Dr. Ursula Reeger ist Migrationsforscherin und interessiert sich besonders für die Integration von Migrantinnen und Migranten auf dem Wohnungsmarkt, dem Arbeitsmarkt sowie für Stadtentwicklung. Sie arbeitet insbesondere über Wien, aber auch über Österreich und im internationalen Vergleich. Das Mobilitätsverhalten nach dem Migrationshintergrund bildet eine weitere Facette ihrer Tätigkeit im Rahmen der Frage von Zuwanderung und Integration.

Die Bevölkerung des Großraums Wien wächst durch Zuzug ständig. Schon heute haben rund 40 Prozent der Wiener Bevölkerung Migrationshintergrund. Bis zum Jahr 2030 wird etwa eine halbe Million Menschen mehr in diesem Großraum leben. Der ÖAMTC hat die Frage gestellt, ob MigrantInnen anders mobil sind und welche Unterschiede zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund vorhanden sein könnten. Daher wurde im Rahmen einer Studie untersucht, welche Verkehrsmittel MigrantInnen wählen und wie oft sie diese nutzen.

Die AutorInnen der Studie, Heinz Fassmann (Bundesminister, Professor für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung) und Ursula Reeger (Migrationsforscherin) stellen ein wesentliches Ergebnis vor:
MigrantInnen nutzen häufiger die öffentlichen Verkehrsmittel – auch im urbanen Raum. Die Studie belegt, dass der Migrationshintergrund das Mobilitätsverhalten beeinflusst. So senkt der Migrationshintergrund die Wahrscheinlichkeit der Autobenutzung als LenkerIn und BeifahrerIn – zugunsten der Nutzungsintensität des öffentlichen Nahverkehrs. Nur 23 Prozent der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund nutzen täglich oder mehrmals wöchentlich den öffentlichen Nahverkehr, hingegen 36 Prozent der Personen mit Migrationshintergrund.

netzwerk-verkehrserziehung.at: Frau Dr. Reeger, warum wollte man das Mobilitätsverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund untersuchen?
Ursula Reeger: Grundsätzlich weil darüber sehr wenig bekannt ist. Es gibt international nur ganz wenige Studien zu diesem Thema. Dabei ist Mobilität ein wesentlicher individueller Mehrwert, es ist eine Freiheit und eine Chance. Mobilität verbessert die Teilhabechancen und ist somit ein Teil der Integration.

Was hat die Untersuchung gezeigt?
Es hat sich ein deutlicher Unterschied im Mobilitätsverhalten gezeigt, MigrantInnen bewegen sich mehr in öffentlichen Verkehrsmitteln als Personen ohne Migrationshintergrund.

Wie lässt sich das herausfinden?
Man muss vorsichtig sein und die Ursachen betrachten. MigrantInnen leben sehr viel häufiger in Städten, dort wird allgemein häufiger öffentlich gefahren, das beeinflusst das Ergebnis. Deshalb haben wir eine multivariate Analyse gewählt. Wir haben Alter, Geschlecht, Schulbildung, Migrationshintergrund und Urbanisierungsgrad als Merkmale einbezogen. Aber der Unterschied bleibt bestehen, MigrantInnen fahren öfter öffentlich.

Bei gleichem Einkommen?
Es ist in Österreich kaum möglich, zu Einkommensdaten zu kommen. Wir haben die variable Bildung verwendet, daraus lässt sich bis zu einem gewissen Grad auf das Einkommen schließen.

Wer mehr verdient, fährt mehr Auto?
Nicht unbedingt. Wer mehr Bildung hat und mehr verdient, hat mehr Wahlmöglichkeiten und tut, was im gesellschaftlichen Trend liegt.

Ich lese in der Studie, dass MigrantInnen weniger mit dem Rad fahren als der Bevölkerungsschnitt ...
... andererseits kommen wir auch zu dem Schluss, dass sie das Auto seltener benützen. Bei MigrantInnen kommen tendenziell mehr Haushaltsmitglieder auf ein Auto, wie sich in internationalen Studien zeigt.

Das Klischee vom Auto als Statussymbol für bestimmte MigrantInnengruppen lässt sich nicht belegen?
Leider gibt die verwendete Datenquelle keine Auskunft über den Besitz verschiedener Verkehrsmittel, sondern nur über die Häufigkeit der Nutzung. Denkbar ist, dass dies ein Klischee ist, das nur auf eine ganz kleine Gruppe zutrifft – und selbst dort ist das Geschlecht vielleicht relevanter als der Migrationshintergrund.

Welche Ergebnisse hat die Studie noch gebracht?
Ein wichtiges Ergebnis ist, dass es rasche Angleichungsprozesse gibt. Die zweite Generation unterscheidet sich in ihrem Mobilitätsverhalten bereits deutlich weniger von den NichtmigrantInnen.

Was für Schlüsse könnten gezogen werden?
Für mich wäre es wichtig, genauer zu forschen: Wofür wird das Fahrrad oder das Auto verwendet, für den Weg in die Arbeit oder in der Freizeit? Welches Verkehrsmittel hat welches Prestige? Wie steht es um den Besitz von Auto und Fahrrad?

Die vollständige Studie im Wortlaut finden Sie hier.

Zur Person

Dr. Ursula Reeger ist Migrationsforscherin und interessiert sich besonders für die Integration von Migrantinnen und Migranten auf dem Wohnungsmarkt, dem Arbeitsmarkt sowie für Stadtentwicklung. Sie arbeitet insbesondere über Wien, aber auch über Österreich und im internationalen Vergleich. Das Mobilitätsverhalten nach dem Migrationshintergrund bildet eine weitere Facette ihrer Tätigkeit im Rahmen der Frage von Zuwanderung und Integration.

Zur Person

Univ. Prof. Dr. Ralf Risser, geboren in Lienz/Osttirol. Eigner von FACTUM. Vorlesungen an Universität und Technischer Universität Wien.

Seit 1988 Kooperation mit dem Institut für Technologie und Gesellschaft der Technischen Universität Lund, Schweden, seit 2005 dort Gastprofessor.

Seit 1989 mit FACTUM in mehreren EU-Projekten 1993 bis 2003 Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verkehrspsychologie der EFPA (Europäische Föderation der Psychologen-Verbände)

Seit 1988 Sekretär von ICTCT (International Co-operation on Theories and Concepts in Traffic safety), seit 2011 Präsident dieses internationalen Vereines.

Vorstandsmitglied der NORBIT-Gruppe (Nordic Organisation for Behaviour in Traffic).

Eine Hauptaktivität besteht in Entwicklung und Anwendung von Instrumenten, die adäquate Erforschung menschlicher Motive als Basis für Sozialmanagement erlauben. Spezialist für Techniken qualitativer Forschung und Verhaltensbeobachtung (Entwickler der „Wiener Fahrprobe“ und Ableitungen davon), für heuristische Vorgangsweisen wie etwa Workshops, sowie für gruppendynamikbasierte Kreativ- und Trainingsmaßnahmen.